Offener Brief
Der Fall KuGl und die Anerkennung von Kultur
St.Gallen,
22. Mai 2012
Sehr geehrter Prof.
Dr. iur. Herr Cavelti,
Wir von
Klartext sind eine institutionen- und politikunabhängige Organisation aus
jungen Menschen, die sich um Freiraum für eine vielfältige Kultur in St.Gallen
bemühen und uns deshalb zu einem Komitee zusammengeschlossen haben. Wir sind
vier junge Erwachsene aus St.Gallen und verstehen uns als Teil einer sozialen
Bewegung, die stark um die Anerkennung ihrer Kultur und deren Freiräume kämpfen
muss.
Eine Stadt wie
St.Gallen lebt von ihrer Dynamik. Die Dynamik ist ein Ausdruck des Ausgleichprozesses,
der zwischen allen sozialen Schichten stattfinden muss, die sich in St.Gallen begegnen
und aufhalten. St.Gallen lebt von der Vielfältigkeit, die von allen anwesenden,
partizipierenden Menschen gestaltet wird.
Der Architekt
Shadrach Woods schrieb im Jahr 1975 in seinem Werk The Man in the Street
folgendes: „Eine Gestaltung der Stadt, die sich des Menschen auf der Strasse
annehmen, muss sich an die vielfältigen Wahrheiten seiner widersprüchlichen
Bedürfnisse, Wünsche, Ambitionen, Motivationen, Leidenschaften und
Gleichgültigkeiten anpassen, weil es eben keine einfache Wahrheit gibt, die zu
ihm passt.“
Genau diese von
Woods beschriebene Situation finden wir im kulturellen Bereich in St.Gallen
vor. Es gibt keine allgemeingültige Wahrheit und deshalb müssen alle Kulturen
in ihrer Vielfalt in der Gestaltung unserer Stadt berücksichtigt werden.
Wenn wir uns an
bestehenden, etablierten Kulturinstitutionen orientieren, wie einem Stadttheater,
einem naturhistorischen Museum oder einer Tonhalle, so decken diese nur eine bestimmte
kulturelle Nachfrage bzw. ein bestimmtes kulturelles Interesse ab und machen
dadurch nur einen Teil der kulturellen Vielfalt aus. Genau wie die erwähnten
Beispiele, bilden auch die subkulturellen Alternativangebote ein
Alltagsbedürfnis der Menschen in St.Gallen. Es ist enorm wichtig, dass auf alle
Bedürfnisse, seien sie noch so widersprüchlich oder für die einen
unverständliche, mögen sie eine Minder- oder eine Mehrheit betreffen,
eingegangen wird und um den vorhandenen Raum fair verhandelt wird. Was, wenn
plötzlich die Legitimation und der beanspruchte Raum eines Stadttheaters oder
eines Kinderfestes in Frage gestellt würde?
Wir gelangen an
Sie, da Sie bereits in der Vergangenheit und wohl auch in naher Zukunft als
Verwaltungsgerichtspräsident die Fälle mit dem Kläger Herrn Alex Keller und der
Projektikum GmbH bzw. dem KuGl (Kultur am Gleis) behandelt haben. Wir wollen,
bzw. müssen Ihnen als Vertretung unserer Petitionsunterzeichnenden (vgl. “Das
Recht auf Kultur“: auf Wunsch stellen wir Ihnen gerne das zugehörige Material
zu) die Wichtigkeit dieser Kulturinstitutionen und den damit verbundenen Entscheiden
voll und ganz bewusst machen.
Das KuGl steht
dabei repräsentativ für weitere Institutionen, die sich sowohl in Bezug auf die
Grösse, das Zielpublikum wie auch auf die raumplanerischen Kriterien im
gleichen Konfliktrahmen bewegen.
Es ist für uns
äusserst befremdend, zu sehen, dass zwischen den Entscheiden der Stadt
St.Gallen, des Volkswirtschaftsdepartement und des Departements des Innern auf
der einen Seite und den Entscheiden des Verwaltungsgerichtes auf der anderen
Seite eine enorme Diskrepanz vorhanden ist. Eine Diskrepanz, die es dem Kläger,
Herrn Alex Keller, stets möglich macht, den Prozess und seinen realitätsfremden
Kampf gegen eine kulturelle Institution weiterzuziehen, ohne sich dabei dialogfähig
zu zeigen. Durch diese Diskrepanz und die rechtliche Möglichkeit für Herrn
Keller, dem KuGl jeweils sehr kurzfristig die Verlängerung für einen Anlass zu
entziehen, ist ein Kulturbetrieb wie das KuGl in seiner Existenz bedroht, ein
normaler Betrieb schier unmöglich.
Wir wissen,
dass der Fall ein laufendes Verfahren ist und dass Sie stets objektiv und
gemäss den bestehenden gesetzlichen Richtlinien handeln müssen. Trotzdem ist es
unserer Meinung nach wichtig, auf den Wert unserer alternativen Kultur aufmerksam
zu machen, gerade dort, wo vielfach abstrakte Entscheide zu deren Ungunsten gefällt
werden. Damit sei in aller Deutlichkeit erwähnt: Das KuGl steht repräsentativ
für einen kulturellen Konflikt, in dem wir uns momentan befinden und darf
keinesfalls im negativen Sinne als Präzedenzfall dienen. Weitere Lokale und
Klubs befinden sich genau in der gleichen prekären Situation und müssten so befürchten,
in den gleichen Sog zu geraten, der St.Gallen am Schluss als Geisterstadt
dastehen liesse.
Um dem
vorzubeugen ist es wichtig, dass alle Betroffenen die Möglichkeit haben, zu
partizipieren, bei der Diskussion um kulturelle Freiräume mitzureden und den Diskurs
um kulturelle Freiräume mitgestalten können. Gerne würden wir Ihnen auch
persönlich diese alternative Kultur vorstellen.
Wir erhoffen
uns von Ihnen eine konstruktive Auseinandersetzung mit unseren Anliegen und vor
allem die Einsicht, dass eine generelle negative Auslegung der abstrakten
Beurteilung im Fall KuGl im Endeffekt destruktiv ist und die kulturelle Dynamik
und ihren Ausgleichsprozess aus dem Gleichgewicht bringt.
Wir freuen uns
über eine Antwort und verbleiben mit freundlichen Grüssen
Klartext
St.Gallen
Was soll man dazu sagen? - Word! Sehr gut geschrieben!
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